Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Köln macht es für Gesellschaften nochmals schwieriger, den Entfall des Ausgleichsanspruches bei einer Insolvenz des freien Handelsvertreters zu argumentieren. Es wird deutlich, dass die Versagung des Handelsvertreterausgleichs voraussetzt, dass das Unternehmen das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Versicherungsvertreters vorlag. Dieser Grund darf nicht die Privatsphäre oder Lebensführung des Handelsvertreters betreffen.
Die Zahlen sind beeindruckend: Die fast 34.000 Unternehmen mit mehr als 90.000 Beschäftigten vermitteln jährlich Waren im Wert von über 200 Milliarden Euro einschließlich eines Eigenumsatzes von ca. 1,3 Milliarden Euro pro Jahr. Einschließlich des Eigenumsatzes ergibt sich ein erheblicher Einschaltungsgrad in die inländischen Warenströme. Üblicherweise werden von den Handelsvertretungen mehrere Unternehmen vertreten. Nach den Ergebnissen der CDH-Statistik 2018 beläuft sich die Anzahl der von Handelsvertretungen vertretenen Firmen im Durchschnitt auf 4,9. Das Gewicht der ausländischen Vertretungen ist deutlich gestiegen. Gegenwärtig vertritt mehr als die Hälfte der Betriebe zumindest eine ausländische Firma, meldet der Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb (CDH) e.V.
Weiterhin heißt es: Die Handelsvermittlung ist ein Wirtschaftsbereich mit mittelständischer Struktur. In den untersuchten Handelsvertretungen in der CDH-Statistik 2018 sind im Durchschnitt 2,4 Personen in Vollzeit beschäftigt. Davon entfallen auf tätige Inhaber 1,1 Personen und auf Mitarbeiter 1,3 Personen. Hinzu kommen durchschnittlich 1,1 teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter, davon 0,3 geringfügig Beschäftigte.
Handelsvertreter werden in Deutschland regelmäßig nach Handelsgesetzbuch § 84 tätig: „Handelsvertreter ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Selbständig ist, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.“
Insolvenz kein automatischer Kündigungsgrund
Damit unterliegen auch Handelsvertreter als Unternehmer typischen Insolvenzrisiken. Doch was passiert im Insolvenzfall mit dem sogenannten Handelsvertreterausgleich? Nach § 89 b HGB hat der Handelsvertreter Anspruch auf einen Handelsvertreterausgleich für Unternehmervorteile, die dem Unternehmer nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses durch die vom Handelsvertreter geschaffenen Neukunden bzw. wesentlich intensivierten Altkunden verbleiben. Das bedeutet: Mit dem Ausgleichsanspruch hat der Gesetzgeber für freie Handelsvertreter einen Sicherungsmechanismus geschaffen. Aufgrund dieser Regelungen im Handelsgesetzbuch stehen dem Handelsvertreter nach Ende seines Vertrages mit einer Gesellschaft Bestandszahlungen zu.
Generell gilt: Antragstellung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Handelsvertreters führen nicht dazu, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien automatisch endet. Ebenso bedingt die Insolvenz keinen unmittelbaren außerordentlichen Kündigungsgrund, der dazu führen würde, dass einem Handelsvertreter seine Ausgleichszahlung im Kündigungsfalle nicht zusteht. Diese HGB-Regelung wird durch eine Insolvenz, in deren Folge eine Gesellschaft den Vertrag einseitig beenden will, nicht aufgehoben.
Aktuelles Urteil im laufenden Insolvenzverfahren
Dass das Recht zur außerordentlichen Kündigung im Insolvenzfalle nicht automatisch gegeben ist, hat das OLG Hamm (Urteil vom 09.06.2004, Az.: 35 W 5/04) schon vor vielen Jahren mit Blick auf eine ältere BGH-Entscheidung geurteilt. Notwendig sei immer eine Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Sobald die Insolvenz jedoch unmittelbare Auswirkungen auf die Leistungen des Handelsvertreters oder auf die Kundenbeziehungen hat (etwa aufgrund von Imageproblemen oder der Verwertung betriebsnotwendiger Gegenstände), ist das Recht zur außerordentlichen Kündigung gegeben.
Das hat jetzt auch das Oberlandesgericht Köln deutlich gemacht (Beschluss vom 01.03.2021, Az.: 19 U 148/20) und damit ein erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Köln bestätigt (Az.: 89 O 21/20). Geklagt hatte ein Insolvenzverwalter im Rahmen der Regelinsolvenzverwaltung über das Vermögen eines freien Handelsvertreters. Der Kläger war wegen Steuerhinterziehung zu 180 Tagessätzen verurteilt worden. Daraufhin hatte seine Auftraggeberin, eine Versicherung, ihn fristlos gekündigt und wollte den Ausgleich nach 14 Jahren Tätigkeit nicht zahlen.
Für Kündigung muss ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens vorliegen
Sowohl das Landgericht Köln als auch das Berufungsgericht haben die Verpflichtung zur Zahlung des Handelsvertreterausgleichs aber bejaht. Die Versicherungsgesellschaft muss diese in einer sechsstelligen Höhe zu zahlen. Das Geld fließt in die Insolvenzmasse zur Erhöhung der Gläubigerquote. Der Hintergrund: Insbesondere, wenn eine Vorstrafe oder ein sonstiges Handeln nichts mit dem Vertragsverhältnis zu tun haben, darf es nicht zum Entfall des Ausgleiches kommen. Es wurde nur ein Billigkeitsabzug in Höhe von 25 Prozent vorgenommen, da die Verhältnisse des Handelsvertreters tatsächlich gänzlich ungeordnet waren. Auszuzahlen waren also 75 Prozent des Ausgleiches.
Das Oberlandesgericht Köln verweist in seiner Urteilsbegründung deutlich darauf, dass die Versagung des Handelsvertreterausgleichs voraussetzt, dass das Unternehmen das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Versicherungsvertreters vorlag. Die Gründe müssten derart schwerwiegend sein, dass gelte Fortsetzung des Handelsvertretervertrages bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Vertrags nicht zugemutet werden könne. Es gilt im Rahmen einer Interessenabwägung ebenso festzustellen, ob die Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses für die Gesellschaft wirklich unzumutbar sei. Dabei sei das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu berücksichtigen.
Der OLG Köln stellt heraus: „Der Ausschlussgrund setzt voraus, dass der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Versicherungsvertreters vorlag.“ Ein wichtiger Grund folge in diesem Zusammenhang nicht aus dem Vortrag der beklagten Versicherungsgesellschaft zur Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Weder habe die Beklagte die vermeintlich strengen Vorgaben der BaFin dargelegt noch die ihr wegen der Beauftragung des straffällig gewordenen Insolvenzschuldners drohenden berufsrechtlichen Konsequenzen. Betreffend die Verurteilung des Insolvenzschuldners wegen Steuerhinterziehung sei die Wertung des Landgerichts, dass sich diese nicht gegen die Beklagte richtete und deshalb keinen wichtigen Grund im vorbezeichneten Sinne darstellt, nicht zu beanstanden.
Die Versicherungsgesellschaft war nach Ansicht des Gerichts nicht unmittelbare Geschädigte der Straftat. Insofern genüge eine mittelbare Ausstrahlungswirkung nicht für die fristlose Kündigung.
Kündigungsgründe müssen das Vertragsverhältnis betreffen
Das Urteil und die abgelehnte Berufung durch die Versicherungsgesellschaft sind damit hochrelevant für Streitigkeiten über den Entfall des Ausgleichsanspruches, gerade auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zur Erhöhung der Masse durch den Insolvenzverwalter. Das Oberlandesgericht Köln hat erstmalig klarstellt, dass die Kündigungsgründe das Vertragsverhältnis betreffen müssen und nicht etwa in der Privatsphäre oder Lebensführung des Handelsvertreters liegen sollen, um einen Entfall des Ausgleichsanspruches zu rechtfertigen.
Die Position des Oberlandesgerichts Köln macht es für Gesellschaften nochmals schwieriger, den Entfall des Ausgleichsanspruches zu argumentieren. Die Chancen für Handelsvertreter, auch bei einer fristlosen Kündigung durch den Auftraggeber den Handelsvertreterausgleich zu erhalten, sind sehr groß, selbst bei einer tendenziell schwierigen Ausgangslage.
Daher ist es für Insolvenzverwalter im Sinne der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung sinnvoll, bei Versagen des Handelsvertreterausgleichs ohne wichtigen Grund durch die Auftraggeberin den Klageweg zu bestreiten. Die Rechtsprechung bestätigt, dass die Zahlung des Handelsvertreterausgleichs regelmäßig möglich ist, auch wenn die Situation auf den ersten Blick vielleicht dagegenspricht.
Der Autor Tim Banerjee hat das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Köln (01.03.2021, Az.: 19 U 148/20) für den klagenden Insolvenzverwalter geführt.
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