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Europäischer Restrukturierungsrahmen: Was heißt das für die Praxis?

Sanierung erleichtern, Liquidation verhindern, Arbeitsplätze erhalten? Das EU-weite vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren scheint sich auch auf kleine und mittlere Unternehmen auszudehnen. Das birgt Gefahren für die Gläubiger des von der Insolvenz bedrohten Unternehmens.

In der Europäischen Union sind Jahr für Jahr rund 200.000 Unternehmen von einer Insolvenz betroffen; das sind rund 600 Unternehmensinsolvenzen täglich. Diese Insolvenzen führen laut Berechnungen der Europäischen Kommission zu einem Verlust von 1,7 Millionen Arbeitsplätzen. Das Erstaunliche an diesen Zahlen: Bei einem Viertel dieser Fälle handelt es sich um grenzüberschreitende Insolvenzen mit Gläubigern und Schuldnern in mehr als einem EU-Mitgliedstaat.

Der „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU“ wurde, wie hinlänglich bekannt, von der Europäischen Kommission erarbeitet, um die EU-weite und damit grenzüberschreitende Restrukturierungspraxis zu nivellieren und zu erleichtern. Das folgt dem Ansatz, dass laut dem „Vorschlag“ ein erheblicher Prozentsatz von Unternehmen und damit verbundenen Arbeitsplätzen gerettet werden könnte, wenn in allen Mitgliedstaaten, in denen insolvente Unternehmen Niederlassungen, Vermögenswerte oder Gläubiger haben, präventive Restrukturierungsverfahren bestünden. Durch diesen einheitlichen Rahmen soll die „Zahl unnötiger Liquidationen von rentablen Unternehmen“ verringert werden. Gleichzeitig soll die neue Gesetzgebung stabilen Unternehmen die Chance auf einen Neuanfang geben.

Die Frage, die sich natürlich stellt, ist folgende: Wie verändert die Richtlinie künftig die Arbeit von Insolvenzverwaltern und Sanierungsberatern? Mehrere Punkte sind wichtig, schaut man sich die Entwicklung an. Der Gravenbrucher Kreis formulierte Ende Mai, das Ziel des Verfahrens müsse die Restrukturierung der Passivseite sein, und deshalb betreffe das vorinsolvenzliche Verfahren nur die Geldkreditgläubiger und greife zum Beispiel nicht in Arbeitnehmerrechte ein – es schien damit, als wende sich das neue EU-weite Sanierungsverfahren überwiegend an große Unternehmen mit einer komplexen Finanz- beziehungsweise Finanzierungsstruktur. Diese Ansicht muss aber mittlerweile revidiert werden; entscheidend dafür ist unter anderem folgender Passus: „Als Schuldner haben KMU [kleine und mittlere Unternehmen; G.K.] Zugang zu Frühwarnsystemen, die dazu fuhren sollten, dass mehr Restrukturierungen frühzeitig eingeleitet werden. Insbesondere KMU werden auch von Mustern für Restrukturierungspläne profitieren, die auf nationaler Ebene entwickelt werden, da es Schuldnern hierdurch leichter fallen wird, Restrukturierungspläne mit den entsprechenden Angaben auszuarbeiten.“

Kleine und mittlere Unternehmen stehen damit laut dem „Vorschlag“ der EU-Kommission ganz eindeutig mit im Fokus des präventiven Restrukturierungsrahmens, von einer alleinigen Restrukturierung der Passivseite in komplexen gesellschafts- und finanzrechtlichen Strukturen ist somit nicht mehr die Rede. Das bedeutet: Die große Mehrheit der von Insolvenz bedrohten Unternehmen soll die Möglichkeit erhalten, sich abseits der bislang üblichen rechtlichen Wege zu sanieren – außergerichtlich und ohne die Aufsicht von Insolvenzverwaltern beziehungsweise Sachwaltern. Ebenfalls wird der Einfluss der Insolvenzgerichte erheblich schwinden.

Das hat enorme Auswirkungen auf die Praxis. Denn die EU sieht vor, „ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Interessen der Schuldner und denen der Gläubiger herzustellen“. Damit besteht das Risiko, dass die Rechte der Gläubiger beschnitten werden, wenn ohne formelle Aufsicht Sanierungsverfahren durchgesetzt und durchgeführt werden. Dadurch wächst die Gefahr, ein sehr schuldnerfreundliches Verhalten zu etablieren, das die Gläubigerbefriedigung konterkariert und sich damit gegen das deutsche Insolvenzrecht wendet.

Zudem ist das neue Sanierungsverfahren offenbar dazu prädestiniert, den Bock zum Gärtner zu machen. Ohne dauerhafte Aufsicht staatlich bestellter Organe arbeitet der von der Insolvenz bedrohte Unternehmer mit einem frei bestellten Berater an der Gesundung seiner Gesellschaft. Das kann eine erhöhte Rückfallquote bedeuten, die das Unternehmen dann wiederum in ein gesetzlich geregeltes Insolvenzverfahren führt; mit der Gefahr, dass dann zu wenig Kapital für eine echte leistungswirtschaftliche Sanierung zur Verfügung steht.

Es gilt nun weiterhin, die Entwicklung und die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht genau zu beobachten und die Schlüsse für die Beratungspraxis daraus zu ziehen, zumal der deutsche Gesetzgeber bereits vor Jahren mit dem Planverfahren und dem ESUG zwei mittlerweile gut funktionierende Werkzeuge geschaffen hat, die es nun eher weiter zu stärken gilt als durch wiederum neue vorinsolvenzliche Maßnahmen zu schwächen.

 

 

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